Robert Littell
Das Stalin-Epigramm
Arche, Preis: ca. 23,-- EUR
Robert Littell ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten lebenden Thriller-Autoren, ein legitimer Nachfolger Eric Amblers, John LeCarrés und Ross Thomas. Seine Kenntnis der "russischen Frage" mäandriert durch sein Gesamtwerk. Mit "Das Stalin-Epigramm" hat Littell einen Roman geschrieben, in dem es um monströse Verrbechen, um Schuld ohne Sühne, um Verrat und Liebe geht, und der dennoch kein Thriller ist. Vielmehr hat Littell ein Atom aus dem Kosmos des stalinistischen Terrors herausgegriffen und formal und inhaltlich brillant beleuchtet: Das Schicksal des Dichters Ossip Mandelstam, der mit seinem "Stalin-Epigramm" der Geschichte ins Rad greifen will und grausam für seinen (Über)Mut büssen muss.
Reale und erfundene Personen vermengen sich ebenso wie Realität und Halluzination des geschundenen Dichters Mandelstam. Ist das (fiktionale) Treffen mit Stalin (erfundene) Wirklichkeit oder die fiebrige Phantasie eines Gefolterten? Frauen und Freunde aus dem Leben des Poeten - die Achmatowa, Nadjeschda Mandelstam, Boris Pasternak - kommen ebenso zu Wort wie ein naiver analphabetischer Gewichtheber und Zirkusartist oder der Leibwächter Stalins.
Beeindruckend die Beschreibung des berüchtigten Empfangs in der Villa Maxim Gorkis 1934, bei dem Stalin die Richtlinien für den "sozialistischen Realismus" verkündet - und die Vernichtung eines vorlauten jungen Schriftstellers anordnet, der Fragen zur Hungersnot in der Ukraine stellt. Erschütternd die Konfrontationen zwischen Mandelstam und dem zuständigen Vernehmungsleiter des NKWD, Christophorowitsch - einem intellektuellen Vollstrecker des Willens der Partei, dem diese Arbeit aber auch wirklich Freude bereitet.
Es ist offenkundig, dass Robert Littell mit diesem Roman das Buch geschrieben hat, welches er immer schreiben wollte - ein "Herzblutbuch", wie Klaus Wagenbach sagen würde. Ich kann diesem beeindruckenden Werk nur viele Leserinnen und Leser wünschen.
P.S.: Und hier das "Stalin-Epigramm":
- Wir Lebenden spüren den Boden nicht mehr,
- Wir reden, dass uns auf zehn Schritt keiner hört,
- Doch wo wir noch Sprechen vernehmen, –
- Betrifft's den Gebirgler im Kreml.
- Seine Finger sind dick und, wie Würmer, so fett,
- Und Zentnergewichte wiegts Wort, das er fällt,
- Sein Schnauzbart lacht Fühler von Schaben,
- Der Stiefelschaft glänzt so erhaben.
- Schmalnackige Führerbrut geht bei ihm um,
- Mit dienstbaren Halbmenschen spielt er herum,
- Die pfeifen, miaun oder jammern.
- Er allein schlägt den Takt mit dem Hammer.
- Befehle zertrampeln mit Hufeisenschlag:
- In den Leib, in die Stirn, in die Augen, – ins Grab.
- Wie Himbeeren schmeckt ihm das Töten –
- Und breit schwillt die Brust des Osseten.
(Kurt Lhotzky)
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