Run - es geht um dein Leben
Heyne, 477 Seiten, EUR 9,20
Jeff Abbott ist ein Thriller-Routinier. Das merkt man - im Positiven wie im Negativen - an "Run".
Ich sehe in der Thriller-Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts mehrere Stränge. Der eine geht von Eric Ambler über John Le Carré und Ross Thomas zu Robert Littell (um nur einige Glanzlichter am Thriller-Firmanent zu nennen). Das sind die Thriller, die nicht nur eine ungute Gegenwart abbilden, sondern diese Gegenwart auch reflektieren. Nicht im Sinne des Spiegels allein, in dem wir uns und unsere Welt sehen, sondern im Sinne der intellektuellen Reflexion über die herrschenden Zustände. Die Autoren dieser Schule sind lakonisch, zynisch, und oft so brillant, dass sie die engen Genregrenzen sprengen. Ihre Protagonistinnen und Protagonisten sind hochkomplexe, oft gebrochene, Charaktere, die kaum mehr Illusionen in ihr zumeist geheimes Gewerbe haben. Das "Gute" ist nicht nur eine Frage des Blickwinkels, sondern von Zeit und Ort.
Der zweite Hauptstrang ist jener der systemimmanenten Pageturner - wohl am eindeutigsten an Robert Ludlum und seinen rasanten Ziegeln festzumachen. Das Handlungsmuster ist zumeist ähnlich gestrickt: Ein unschuldiger Durchschnittsbürger, der jedoch über irgendeine (und nur eine!) besondere Fähigkeit verfügt oder eine Vergangenheit in der US-Army hinter sich und daher eine rudimentäre Nahkampfausbildung hat, wird in den Sog einer welt- oder zumindestens die USA bedrohenden Verschwörung gerissen, in die oft genug sogar Vertreter der "demokratischen Supermacht Nummer 1" verwickelt sind, schafft es aber nach zahlreichen Schuss- und Stichwunden, gebrochenen Knochen und Würgemalen, die Welt/die USA (zutreffendes bitte ankreuzen) zu retten. Die einzelnen Charaktere brauchen nicht besonders modelliert zu werden - die Leserin, der Leser hat ohnehin keine Zeit, in der ständigen Abfolge von Hetzjagden, Hinterhalten, Mordanschlägen und Fallen über psychologische Fragen nachzudenken ... Die Systemimmanenz dieser Schule liegt darin, dass die Frage nach den Ursachen politischen Handelns nie ernsthaft aufgeworfen wird - letztlich sollen die Helden einen status quo immer bewahren und nicht in Frage stellen.
Jeff Abbott gehört meiner Meinung nach in die Ludlum-Schule, und dementsprechend haben wir es bei "Run" mit guter, ja sogar sehr guter Konfektionsware zu tun - wenn wir bereit sind, eine gehörige Portion Ideologie mitzuschlucken. Diese Ideologie ist aber durchaus interessant und untersuchenswert.
Ohne zuviel vom Plot zu verraten, hier eine kurze Handlungsskizze: Ein jung-dynamischer Unternehmensberater, dessen soeben angetraute Ehefrau während der Flitterwochen von einem Heckenschützen ermordet wird, gerät zwei Jahre später in ein sinistres Komplott: Ein professioneller Killer, der einen wichtiger Auftrag vermasselt und in Folge selbst seine üble Seele aushaucht, ist nämlich im Besitz einer Visitkarte des besagten Ben Forsberg. Das ruft das Heimatschutzministerium, die Sicherheitssupertruppe der amerikanischen Regierung auf den Plan, und die gehen mit unserem Protagonisten gar nicht fein um. Ein besonders widerlicher Agent, der Gestapo-Allüren an den Tag legt, wird jedoch rechtzeitig von einem mysteriösen Undercover-Killer umgenietet, der überhaupt eine beachtliche Blutspur hinter sich herzieht. Alles weist in Richtung sogenannter "Contractors", also der Söldnerunternehmen (vornehm: Sicherheitsunternehmen), die unter anderem im Irak und in Afghanistan (Stichwort: Blackwater) ihr Unwesen treiben.
Ja - wir haben es hier mit einem Post-Kaltem-Kriegs- und "Krieg gegen den Terror"-Thriller zu tun. Damit sind dem Autor einige klassische Möglichkeiten des Thrillergenres abgeschnitten: Die "right-or-wrong-my-country"-Philosophie eines Ian Fleming greift heute nicht mehr; dass auch "die Guten" genug Dreck am Stecken haben (Stichwort hier: Guantanamo) lässt sich einfach nicht ignorieren. Und (vielleicht tue ich jetzt Mr. Abbott Unrecht) auch der Thrillerautor will ja von was leben und muss sich daher heute sehr genau überlegen, wie weit er mit seiner Kritik an der eigenen Regierung gehen kann und will, ohne nicht biometrisch oder sonstwie behandelt zu werden ;-).
Also kratzt Abbott die Kurve und schreibt sowas wie einen "konstitutionellen Pageturner": Hielten sich die Geheimdienste an die Gesetze, wäre die Welt nur halb so schlimm (oder vielleicht sogar ganz gut).
Eine erstaunliche Figur auf der Seite der ganz Bösen ist übrigens ein Profikiller namens Jack, das kann ich jetzt ruhig vorwegnehmen. Selten tölpelte ein Vertreter der mordenden Zunft so erfolglos durch eine Story. Und dieser Jackie ist wirklich keine Parodie - der ist ganz eindeutig ernst gemeint!
Hier schließt sich für mich der Bogen zu Robert Ludlum, der teilweise erstaunlich gute und realistische Plots oft dadurch auf der Ebene der Thrillerkonfektion stecken bleiben ließ, weil am Ende ein aufgeklärter US-Präsident oder ein Oberster Richter alles zum Guten wendete. Aber solche Sitcom-Happy-Ends sind ja auch schon größeren amerikanischen Autoren passiert - und die hatten meist auch einen höheren Anspruch.
Alles in Allem: Ein Buch für lange Bahnfahrten, heiße oder verregnete Sommertage, den trüber Herbst oder den kalten Winter. Wer sich dann und wann einen gut gearbeiteten Verschwörungsthriller hineinziehen will, ist mit "Run" gut bedient.
(Kurt Lhotzky)
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