Donnerstag, 21. Januar 2010

Robert B. Parker (1932 - 2010)

Am 18. Jänner ist der amerikanische Autor Robert B. Parker im 77. Lebensjahr an seinem Schreibtisch im heimatlichen Cambridge (Mass.) gestorben. Wie an jedem Tag in den vergangenen Jahrzehnten - Sonntage ausgenommen - wollte er sein tägliches Schreibpensum von fünf Seiten erledigen.
Parker war ein fleißiger Schreiber (er hat rund 60 Romane geschrieben) - und er hat die Kriminalliteratur des 20. Jahrhunderts um eine bedeutende Figur bereichert: Den vornamenlosen Detektiv Spenser ("Spenser - wie der Schriftsteller"), einen Philip Marlowe der Nachkriegszeit.
Parker hat aus seiner Bewunderung für Raymond Chandler nie ein Hehl gemacht. In gewisser Weise ist es ihm, bewusst oder unbewusst gelungen, die Qualitäten seines Vorbilds in eine modernere Welt zu transponieren.
Spenser weist gewisse Ähnlichkeiten mit seinem Schöpfer auf - den scheinbar leichten, intellektuellen Wortwitz; die Freude am Essen - und am Kochen (eines der besten Omelette-Rezepte ist mir aus dem ersten Spenser-Krimi "Das gestohlene Manuskript" in Erinnerung!). Spenser ist ein Kind der Ostküste - vorurteilsfrei, dem dumpfen Rassismus der Rednecks ablehnend gegenüber, zutiefst skeptisch, wenn ihn religiöse Fundamentalisten keilen wollen.
Ein zentrales Thema der Spenser-Serie ist die nicht unproblematische, aber trotzdem tragfähige Partnerschaft des Helden mit der Psychotherapeutin Susan Silverman. Spenser, der durchaus mitunter aus der Ferne die eine oder andere Schöne bewundert, ist einer der treuesten Männer in einem von Machos dominierten Genre (wieder eine Parallele zu Robert B. Parkers Leben, der seit 1956 mit seiner Frau Joan war).
Auf deutsch sind die neuesten Spensers im ambitionierten Pendragon-Verlag erschienen.
(Kurt Lhotzky)

Sonntag, 13. Dezember 2009

Mehr Lebensgeschichten

Katja Behrens,
Der kleine Mausche aus Dessau.
Moses Mendelssohns Reise nach Berlin im Jahre 1743
Hanser 2009, 198 Seiten, 15,40 Euro
ISBN 9783446233058


1743 macht sich Moses Mendelssohn, damals 14 Jahre alt, zu Fuß und alleine auf den Weg von Dessau nach Berlin, um weiterhin Unterricht bei seinem geschätzten Lehrer David Fränkl nehmen zu können. Nicht nur, dass der Weg beschwerlich und Moses ohnehin ein kränkelnder Junge ist, sind Juden damals zudem außerhalb ihrer Ghettos nur ungern gesehen. Doch Moses lernt verschiedenste Menschen kennen und lässt viele seiner Erfahrungen in seine spätere philosophische Arbeit, seine Religionsreformen und seine Haltung einfließen. Auf Grund dieser Haltung nimmt Lessing Moses Mendelssohn Jahre nach der Wanderung als Vorbild für 'Nathan den Weisen'.

Diesem Weg also widmet sich Katja Behrens sehr behutsam, da nur wenige Stationen und Begebenheiten wirklich belegt sind. Dennoch zeichnet sie ihre Möglichkeit der Geschichte voll und lebendig, mir hat sich die Zeit und Moses Wesen umfassend erschloßen. Das Buch macht Lust auf mehr - einerseits will ich mehr über Moses Mendelssohns Leben wissen (im Anhang des Buches findet sich ein kurzer Abriss seines Lebens), andererseits weckt es Interesse an Lebensgeschichten anderer Personen. Es ist immer wieder spannend und bereichernd andere Leben kennenzulernen und es ist bemerkenswert wie sehr es manche Autoren verstehen diese für Jugendliche aufzubereiten.
Neben dem Abriss gibt es im Anhang übrigens noch ein Glossar, da die Menschen im Buch drei Sprachen sprechen (jiddisch, hessisch und die Sprache der Zigeuner). Die verschiedenen Dialekte zu lesen hat mich beglückt und tut der Authentizität der Geschichte sehr gut. Gewünscht hätte ich mir aber noch eine Karte von Dessau bis Berlin und dem möglichen Weg.

(Lena Samek)

Donnerstag, 26. November 2009

Immer diese Einzeltäter!


Wolfgang Schorlau
Das München-Komplott
kiwi, 334 Seiten, 9,20

Erinnern Sie sich noch an Franz Fuchs? Den Mann, der angeblich im Alleingang die "Bajuwarische Befreiungsarmee" war, Briefbomben verschickte und die mörderische Sprengfalle von Oberwart legte? Eine These, die immer wieder angezweifelt wird. Aber eine Neuaufnahme der Ermittlungen kommt dann doch nie zustande.

Wolfgang Schorlaus "München-Komplott" beschäftigt sich mit einem brisanten Thema der jüngeren deutschen Geschichte: Dem weitgehend aus dem Gedächtnis verdrängten Attentat auf das Münchner Oktoberfest vom September 1980, bei dem 13 Menschen getötet und über 200 zum Teil schwer verletzt worden waren. Damit war der Anschlag auf der "Wiesn" der blutigste Terrorakt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Hatten CSU-Politiker noch in der Nacht des Verbrechens auf die "rote Spur" hingewiesen, ergab die Identifikation des verstümmelten Leichnams des mutmaßliche Attentäters Gundolf Köhler sehr bald, dass die Spur nach rechtsaußen, zur sogenannten "Wehrsportgruppe Hoffmann" führte.

Die Ermittlungsbehörden schwenkten kurz danach auf eine Einzeltätertheorie um - offen blieben aber viele Fragen, etwa, wie ein Einzeltäter die immerhin in einem Feuerlöscher eingebaute schwere Bombe alleine auf die Wiese gebracht haben sollte; wie der "Einzeltäter" in den Besitz jener englischen Granate gekommen sei, aus der er dann das TNT entnommen und in seinen Sprengsatz gefüllt haben sollte. Und außerdem gab es Zeugenaussagen, die Köhler in Begleitung zweier Männer in grünen Parkas gesehen hatten. Ein weiterer Zeuge will unmittelbar nach der Explosion des Sprengkörpers in einem Abfallkübel jemanden den Satz: : „Ich wollt's nicht, ich kann nichts dafür, bringt's mich um" rufen gehört haben.
All diese Fakten mischt Wolfgang Schorlau vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Erstarkens neonazistischer Kräfte in Deutschland - allen voran der NPD - zu einem brillanten und düsteren Thriller mit seinem Privatermittler Dengler zusammen. Was sind Fakten, was sind Spekulationen?

Ich kann und will in dieser Renzension nicht auf Handlungsdetails eingehen, die zuviel von den verschlungenen und doch offensichtlichen Verwicklungen des "München-Komplott" verraten würden. Die Schlüsse, die sich aus Denglers Ermittlungen ergeben, sind logisch und klar. Wie immer hat Schorlau auf seiner Website ergänzendes Material zum Roman anzubieten. Wie über allen Dengler-Krimis schwebt auch über diesem in blutig leuchtenden Lettern die Frage: Wessen Staat ist der Staat? Und wem dienen seine "Diener" wirklich?
(Kurt Lhotzky)


Achtung: Der folgende Video-Beitrag enthält Aufnahmen, die für Kinder und sensible Personen nicht geeignet sind.

Sonntag, 22. November 2009

Aktuell aus der Antike: Niedergang eines Imperiums


Robert Harris
Titan
Heyne, 544 Seiten, EUR 22,60

Robert Harris führt uns diesmal ins Jahr 63 v.d.Z. zurück. Cicero, der große Rhetor und erfolgreiche Anwalt, ist endlich Konsul und damit der wichtigste Mann in der niedergehenden Römischen Republik. Während er mit allen Mitteln eben diese verteidigen will, kommt aus den Reihen des Senats selbst mehr oder minder unverhohlener Widerstand.
Catilina macht aus seiner Machtgier kein Hehl - viel gefährlicher aber ist Caesar, der im Hintergrund agiert und ein wahrer Meister der Intrige ist. Jedoch - auch dem prinzipientreuen Cicero sind Manipulationen bei Abstimmungen im Senat ebenso wenig fremd wie die Verwendung gefälschter Beweismittel, wenn es um die Durchsetzung seiner politischen Ziele geht.
Harris zeichnet ein plastisches Bild einer im Niedergang befindlichen Weltmacht. Die herrschende Klasse zerfällt in sich befehdende Fraktionen, die Bandbreite ihrer Optionen reicht von der Bewahrung der republikanischen Formen hin zu unterschiedlich ausgeprägten Formen der Diktatur. Römische Playboys verwandeln sich in blutgierige Populisten und mobilisieren die städtischen Lumpen und ausgemusterte Soldaten, die Rom terrorisieren und den Senat von der Straße her unter Druck setzen.
Bloß ein historischer Roman? Vieles liest sich wie eine Darstellung der heutigen "postdemokratischen" Gesellschaften und ihrer politischen und sittlichen Degenerationen. Harris schöpft aus seinen fundierten Geschichtsstudien in Cambridge ebenso wie aus seiner journalistischen Erfahrung mit den politischen Eliten. Nebenbei: Ein ideales Geschenk für alle, die zwangsläufig Latein lernen müssen - hier bekommen sie zur klassischen "Rede gegen Catilina" das solide historische Unterfutter nachgereicht!
(Kurt Lhotzky)


Sonntag, 1. November 2009

"Malina" ist des Rätsels Lösung


Silvia Roth
Schattenriss
Hoffmann und Campe, 542 Seiten, EUR 15,40

Es hat lange gedauert, bis ich mich mit dem "deutschen Krimi" anfreunden konnte. Gewiss - es gab schon in den 70er und 80er Jahren im Gefolge -kys und anderer Pioniere durchaus beachtliche Krimis, die aber häufig so furchtbar bemüht eine moralische Botschaft vermitteln wollten, dass sie meist ziemlich unverdaulich waren.
Mittlerweile hat sich das geändert, und man muss nicht erst Autorinnen und Autoren wie Ritzel, Birkefeld oder Gercke strapazieren, um diesen Umschwung zu belegen.
Bei Hoffmann und Campe ist nun der dritte Krimi Silvia Roths, "Schattenriss", erschienen, eine feine Mischung aus Action, Psychothriller und allerlei privaten Nebensträngen.
In Klammer sei eingefügt, dass gerade diese Ausflüge ins Privatleben der Protagonistin Winifred Heller, einer Polizistin, und ihres Vorgesetzten Verhoeven der Debütantin anfangs die Schelte des Feuilletons eingetragen haben. Auch ich bin nicht unbedingt ein Fan jener Kriminalromane, in denen ich den Kommissar bis zu seiner letzten Tasse Espresso begleiten und lange Ergüsse über sein exquisites Hobby des Sammelns seltener Schnupftabakdosen aus Niederfranken über mich ergehen lassen soll - bewahre! Silvia Roth hat bereits in ihrem letzten Roman, "Querschläger", diese Aspekte, die ja primär der besseren Charakterisierung der Personen dienen sollen, deutlich zurückgenommen. In "Schattenriss" fließen diese Elemente wieder stärker ein, erscheinen mir aber durchaus gerechtfertigt zu sein.
Die Ausgangssituation ist nicht unbedingt neu: Winifred Heller gerät bei einer simplen Einzahlung in einer Sparkasse versehentlich mitten in einen scheinbaren Raubüberfall hinein, der aber plötzlich zu einer Massengeiselnahme ausartet. Gleichzeitig streckt ganz in der Nähe ein Scharfschütze ein Dutzend Menschen mit präzisen Schüssen in die Beine nieder - im Chaos entkommen die Gangster mit ihren Geiseln.
Während sich Polizei, Bundeskriminalamt und ein speziell qualifizierter Unterhändler über die richtige Taktik im Umgang mit den Entführern in den Haaren liegen, erkennt Heller, dass hinter dem Verbrechen mehr steckt als simple Geldbeschaffung. Wer ist der mysteriöse "Malina", auf den es die Gangster offenbar abgesehen haben? Und was treibt den eigentümlichen Boss der Bande, Alpha, wirklich an - er legt ein höchst außergewöhnliches Verhalten an den Tag ...
Mittlerweile erkennen auch die Ermittler, dass die Spur irgendwie in die deutsche Vergangenheit führt. Die Lösung des Falles liegt in der ehemaligen DDR, und sie hängt mit der Praxis zusammen, Kinder von ihren dissidenten Eltern zu trennen.

Kurt Lhotzky

Donnerstag, 27. August 2009

Trinken und sterben in Galway


Ken Bruen
Jack Taylor fliegt raus
Atrium Verlag, 304 Seiten, EUR 16,50

Ja, ich sags gleich freiwillig: Harry Rowohlt hat diesen Roman übersetzt. Mehr sage ich aber jetzt nicht mehr zu diesem Thema...

Jack Taylor fliegt raus - und zwar aus der Garda Siochána, der irischen Polizei. Nicht wegen übermäßigen Alkoholkonsums - der ist in seinem Job eher ein Plus. Aber er kann manchmal den vorlauten Mund nicht halten, und die Hand rutscht ihm auch manchmal bei den falschen Leuten aus. In einem Land, in dem Polizei, Politik und Geschäft so verklebt sind wie in Irland (Das einfache irische Volk: Äh - nur in Irland? Kennen wir das nicht von irgendwoher?) gar nicht ungefährlich.

Taylor tut also, was er gut kann, auf eigene Rechung: Saufen und ermiteln. Sein Büro ist in Grogans's Pub in Galway, und dort findet ihn eine Klientin, die sich mit dem angeblichen Selbstmord ihrer Tochter nicht abfinden will.

Jack Taylor zur Seite stehen: Ein weiser Barkeeper namens Sean, ein finsterer schwarzer Ritter namens Sutton und eine Punkerin mit göttlicher Stimme. Und viele Flaschen Whiskey und viele Pints. Aber Jack arbeitet wirklich, und das bringt ihn nicht nur in Lebensgefahr, sondern auch in eine Ausnücherungsklinik, und der Kampf gegen die bösen Buben wird immer mehr zum Kampf gegen die eigenen Dämonen und gegen die Flasche.

Ken Bruen, dem deutschsprachigen Publikum als Koautor (mit Jason Starr) der Rotbuch "Hardcasecrimes" bekannt, schreibt schwärzeste hard-boiled-fiction. Zugleich ist dieses Buch auf eine schräge Art eine berührende Liebeserklärung an die Literatur und ans Lesen.

Und, weil sichs ohnehin nicht vermeiden lässt: Natürlich für Harry-Rowohlt-Fans ein Pflichtbuch.
[Kurt Lhotzky]

Schlimme Freundschaft


Tana French
Totengleich
784 Seiten, EUR 17,50

Cassie Maddox, die Ermittlerin aus "Grabesgrün" kehrt zurück - und wie noch dazu! Wer ist die Tote, die vor ihr sitzt, in einem verfallenen Cottage in den Wicklow Mountains, mit ihren Gesichtszügen und einem Ausweis auf eine Deckidentität, die Cassie einst selbst erfunden hat? Kein Wunder, dass ihre Kollegen ebenso irritiert sind wie die junge Polizistin, die einen Schritt zurück in die dämmrige Welt der Undercoverarbeit macht, um die Tote und damit auch sich selbst kennen zu lernen. Als Lexie Madison kehrt sie mit Namen und Geschichte der Toten zurück, die - so die offizielle Version der Dubliner Polizei - knapp mit dem Leben davongekommen ist.

"Totengleich" ist um einiges "irischer" als "Grabesgrün" - die Vergangenheit der armen grünen Insel greift stärker in die Gegenwart ein als im Erstling Tana Frenchs. Und wieder besticht sie durch eine poetische Sprache, präzise Beobachtungen und erstaunliche Überlegungen zum Leben ihrer Romanfiguren.

"Totengleich" ist mehr als ein Krimi. Mir ist es beim Lesen so ergangen, dass die Fragen nach dem "Wer", "warum" und "wo" bald hinter die Frage zurückgetreten sind: Welche Kraft hält diese kleine Gemeinschaft zusammen, in der Lexie Madison gelebt und gelacht hat - mit den Studenten Daniel, Rafe, Justin und Abby, der zweiten Frau in der Gruppe, die gemeinsam ein verfallenes Herrenhaus außerhalb Dublins bewohnbar machen wollen?

Cassie begibt sich auf eine gefährliche Gratwanderung - zwar wissen sie und ihr extrem manipulativer Chef Frank Mackey viel über Lexie, aber bei weitem nicht alles. Sollte einer der Mitbewohner der Mörder sein, könnte jeder Fehler tödlich sein.

Hätte Tana French "Totengleich" auf diesen "kriminalistischen" Aspekt reduziert, hätte vermutlich ein Band mit 300, 350 Seiten gereicht. Aber die Autorin will mehr, und es gelingt ihr meiner Meinung nach hervorragend: Sie will die Tiefen und Untiefen der Existenz ihrer Heldinnen und Helden ausloten, und so entsteht ein faszinierendes und todtrauriges Panorama zum Thema Freundschaft(en).

Ulrike Wasel und Klaus Timmermann haben für eine sensible und geglückte Übersetzung gesorgt.

(Kurt Lhotzky)